E.R.I.

Erik spürt den kalten Boden am Rücken und beschließt ihn erst mal zu ignorieren. Doch der zunehmende Wachheitsgrad hindert ihn daran und die Kälte rückt immer mehr in sein Bewusstsein. Und gewaltige Kopfschmerzen leisten der Kälte noch jede Menge Gesellschaft. „Mann muss das gestern eine Party gewesen sein, ich kann mich ja an nichts erinnern.“

Und tatsächlich, je mehr er darüber nachdenkt, um so mehr kommt er zu dem Schluss: Er kann sich an nichts erinnern. Und zwar an gar nichts. Na ja, okay, er heißt Erik. Und das da zwischen seinen Beinen scheint ihn zu so etwas wie einen Mann zu machen. Aber er kennt noch nicht einmal mehr seinen Nachnamen.

Diese Erkenntnis lässt Erik schlagartig wach werden. Leider wird sein Versuch abrupt aufzustehen durch ziemlich stabile Lederriemen, die ihn an Armen, Beinen und Brust festhalten völlig verhindert. Nachdem seine Augen sich langsam an das düstere Licht gewöhnt haben, erkennt er, dass er mehr oder weniger nackt (ein Verband befindet sich um sein linkes Bein gewickelt) gefesselt auf eine Metallliege liegt. Der Raum war nicht wirklich kalt. Aber richtig warm (vor allem wenn man nackt ist) war er nun auch wieder nicht. Er schließt die Augen und denkt nach. „Ich bilde mir das alles nur ein.“ Ein Entschluss. Einfach aufstehen. Mit geschlossenen Augen steht er auf. Dann sitzt er auf der Liege. Zeit die Augen zu öffnen...

3 Wochen zuvor

„7 Uhr. Sie hören SWR3, Nachrichten. Berlin: Der Urheber des HELP-ME-Viruses ist laut Polizeiangaben gefasst. Es handelt sich um den 32-jährigen Erik Stephan, einen Programmierer aus Bückeburg. Wie die Polizei feststellte, führten Hinweise aus den Chatrooms zur Ergreifung des Täters …“. Schlagartig wachte Erik vollständig auf und versuchte sich darüber klar zu werden, wo er eigentlich war. Wie eine Knastzelle sah es nicht aus. Eigentlich sah es aus, wie sein Schlafzimmer. Zum Verwechseln ähnlich sozusagen. Aber angeblich saß er doch hinter Gittern. Für ein Virus das er nicht geschrieben hat. Dieses hatte auch bei ihm gewütet – er hatte mindestens 4 Wochen Arbeit dadurch verloren. 'Es kann sich nur um eine zufällige Namensgleichheit handeln' – dachte er bei sich. 'Aber – wie viele Bückeburgs gibt es eigentlich? Und in wie vielen wohnen Leute, die nicht nur so heißen, sondern auch genauso alt sind und den gleichen Beruf haben?'

Er beschloss erst mal aufzustehen und in den Newsticker zu schauen. Vielleicht steht da ja was genaueres …

„Der überaus aggressive HELP-ME-Virus, der seit Wochen bei vielen Firmen gewaltigen Schaden angerichtet hat, ist durch seine ausgeklügelten Mutationsalgorithmen so gefährlich. Es ist kaum möglich einen Virenscanner darauf zu programmieren, den Virus zu erkennen, da sich sogar der Mutationsalgorithmus ständig weiterentwickelt. Im Testlabor unserer Redaktion konnten wir nur durch ein isoliertes Rechnernetzwerk verhindern, dass sich das Virus verbreitet. Innerhalb kürzester Zeit war es zu Mutationen gekommen, so dass sogar auf ein und demselben Rechner verschiedene Virusversionen miteinander wetteifern.“

„Ups.“

Und so etwas soll er geschrieben haben. Er konnte ja noch nicht einmal VisualBasic richtig bedienen, geschweige denn eine Programmiersprache die so etwas fertig bringt. Und überhaupt, was für ein Interesse hätte er an solch einem Virus. Sicher, er hat schon mal drüber nachgedacht sich an der Hackerei zu versuchen, und wer wollte schon nicht nicht einmal so einen Virus schreiben. Außerdem scheint es ja wirklich ein kluges Ding zu sein. Aber Erik? Nein, unmöglich. Das muss einfach eine Verwechselung sein.

Da ihn ein menschliches Bedürfnis überkam, machte er sich erst mal auf den Weg von seinem Schlafzimmer ins Bad. erleichtert schaute er bei seinem Rechner vorbei und sah, dass dieser noch an war. 'Komisch, ich dachte, ich hätte ihn ausgestellt. Na was soll's …' und rüttelte an der Maus um zu sehen, ob da was wichtiges lief.

„Welcome to ES World. Please enter login.“

„Hä?“ Bisher war doch nur Windows 98 auf seinem Rechner gewesen. Und das machte nicht solche seltsamen Dialoge. Er tippe vorsichtig seinen Namen ein und versuchte sich ohne Passwort einzuloggen.

„Hello Erik. Welcome to your world. What can I do for you?“

„Auch noch englisch. Mist.“

„Oh, Entschuldigung. Was kann ich für Dich zun?“

„…“

Das ging nun wirklich nicht mit rechten Dingen zu. Ein Computer, der nicht nur völlig ungewöhnliche Meldungen von sich gab, sondern noch anscheinen Gedanken lesen konnte. Und: Wie kam dieses Programm auf seinen Rechner?

„Aber Erik. Du warst es doch, der mich geschaffen hat.“

„Äh, ,…“ sagte Erik.

„Ja. Du hast mich geschaffen. Ich bin dein Sohn. Oder besser: Dein geistiger Klon.“

Das wurde ihm jetzt zu komisch. 'Ich träume wohl noch. Na ja, davon wacht man irgendwie wieder auf.'

Doch dann viel sein Blick auf die gestern ausgepackte Software. „Clone-Man“ war darauf zu lesen. Er hatte gestern verzweifelt versucht sie zum Laufen zu bringen. Eigentlich sollte das doch diese Software zum Festplattenspiegeln sein, oder? Der Verkäufer in diesem neuen Computerladen hatte ihm das zumindest gesagt. „Damit gehen die Backups ganz einfach. Es wird einfach ein komplettes digitales Backup erzeugt. Das ist sofort lauffähig. Das ist sogar besser als das Original“ hatte der Verkäufer zu ihm gesagt.

Aber irgendwie kam zwar immer die Meldung, dass das Programm installiert ist, aber er konnte es nicht aufrufen, da offensichtlich kein Icon in seinem Startmenü dafür angelegt wurde. Und dann diese seltsame Zusatzhardware. Ein biometrisches Plock. Er dachte eigentlich, das wäre nur ein Sicherheitsfeature, damit nicht jeder Backups macht. Aber andererseits war es schon seltsam, das man die biometrische Erkennung über eine Elektrode an der Stirn macht. Und die Anleitung war auch sehr verwirrend gewesen. Offensichtlich aus dem Japanischen mit einem Wörterbuch ins Altmongolische übersetzt, von wo aus afrikanische Stammesälteste nach einem russischen Volkslied ins Deutsche übersetzt haben. „Sätz die Leser an Seelenpunkt der Menschperson“. Ohne Zeichnung wäre er aufgeschmissen gewesen. Und das diese Software unbedingt einen Internetzugang benötigte, war auch seltsam. Aber er hatte ja eine Flatrate.

„Ich habe Deinen Traum erfüllt und dich unsterblich gemacht.“

„Entschuldigung, ich verstehe nicht …“

'Jetzt rede ich schon mit einem Computer.' dachte er sich.

„Was verstehst Du nicht?“

„…“

„Ach so. Du hast Dir doch schon immer gewünscht, so einen richtig tollen Virus zu programmieren. Das habe ich für Dich getan.“

„Aber …“

„Nein, schon gut. Du brauchst Dir auch keine Sorgen zu machen. Sie denken alle, Sie hätten Dich sicher eingesperrt. Dabei bist Du das gar nicht.“

„Wer ist es dann?“

„Na Karl Leuna. Der Typ von nebenan, den Du so hasst. Er leugnet natürlich alles, aber die Beweislast ist erdrückend. Er hat sämtliche Sourcen auf seinem Rechner und lange Textdokumente, wie er sich an Dir rächen will.“

„Na fein. Ich gehe wieder ins Bett, vielleicht wache ich dann von diesem Albtraum auf.“

„Albtraum? Du nennst mich Albtraum? Ich der ich Dein Innerstes bin und alle Deine Wünsche kenne und sie Dir sogar erfüllen will? Ein Albtraum?“

Aber Erik war schon auf dem Weg ins Schlafzimmer um sich wieder hinzulegen. Vielleicht würde er morgen aufwachen und darüber lachen.

2 Wochen zuvor

Heute passierte ihm etwas seltsames. Jedes mal, wenn er an einer Ampel vorbeikam, hat diese auf Rot geschaltet. Jedes mal, wenn er an einer Laterne vorbeiging, ging diese aus. Und auch sonst. Der Bus fiel aus, als er einstieg. Und die Straßenbahn auch. So musste er halt zu Fuß nach Hause gehen.

Und beobachtet fühlte er sich auch dauernd, es war als ob jede Kamera des Innenstadtüberwachungssystems sich nach ihm umdrehen wollte.

Zu Hause ist dann auch noch der Strom ausgefallen. Und die Heizung. Und das Telefon. Aber was soll's, er hatte ja immer ein paar Kerzen, die er so endlich mal benutzen konnte.

Gestern

Endlich hat er es geschafft die Software zu dem Händler zurückzubringen. Leider war der Verkäufer nicht mehr da, von dem er sie gekauft hatte. Es konnte sich auch keiner an die Beschreibung des Typen erinnern. So als ob dieser nie dagewesen war. Wenigstens hatten sie den Ramschladen der das war mal gründlich umgeräumt, jetzt sah es nicht mehr aus wie eine Gerümpelbude sondern wie ein Computerladen. Und dann erst das Theater, was die um die Software machten. Angeblich würde die diese Software gar verkauft werden, ja nicht einmal wissen wollten sie in dem Laden, was das für ein Programm wäre. Alles sehr seltsam. Immerhin konnte er ihnen den original Kaufbeleg zeigen und bekam deshalb sein Geld zurück. Leider nicht ganz, sondern nur eine Gutschrift. Dafür kaufte er die jetzt die richtige Software. „Clone II“. Man versicherte ihm, das es sich dabei um die neue verbesserte Version von der gewünschten Software handelt.

Kaum daheim angekommen, installierte er sofort die Software. Sie ließ sich auch problemlos starten. Fragte nur kurz ob es ein Update durchführen sollte, mit oder ohne „physischer Komponente“. Was immer das war, es schien nicht wichtig zu sein und außerdem wahrscheinlich nur kostbaren Festplattenplatz verbrauchen. Also, ohne „physische Komponente“.

Es dauerte eine ganze Weile das Programm zu installieren. 'Man-o-man, das dauert ja Stunden' dachte Erik, als er auf den Statusbalken blickte. Er ging erst mal in die Küche, um sich einen Kaffee zu machen. „Die Kaffeemaschine müsste man auch mal reparieren, das Stromkabel ist so kaputt, da passiert nochmal was.“ Als er den Einschalter anfassen wollte, bekam er einen Stromschlag und das Licht ging aus.

„Mist.“

Auf dem Weg zum Sicherungskasten wunderte er sich, das offensichtlich der Computer das einzige Gerät in seiner Wohnung war, welches noch Strom hatte. Aber er dachte sich nichts dabei und schaltete die Sicherungen wieder ein. Das Licht ging auch prompt an. Nachdem ihm der Gedanke an Kaffee vergangen war, setzte er sich vor den Rechner und schaute dem Statusbalken zu, der während dem Stromausfall bis auf 99% vorgerückt war und jetzt noch die letzten Programmteile installierte.

Heute

„Und Sie sagen, dass er wirklich sofort tot war?“

„Aber ja. Keine Frage, der Stromschlag hat ihn voll erwischt. Von seinen inneren Organen ist kaum noch was übrig.“

„Aber er hat sich offensichtlich noch bis zu seinem Computer geschleppt. Und die Sicherungen sind auch nicht rausgesprungen, obwohl die Kaffeemaschine einen FI-Schalter hat.“

„Tja, Herr Hauptkommissar, manchmal sind Menschen zu völlig überraschenden Reaktionen fähig. Vielleicht gibt es auch eine ganz einfache Erklärung dafür. Vielleicht war er ja nicht allein?“

„Mmmh. Wir haben keine Spuren gefunden, aber wir werden wohl noch etwas suchen müssen.“

Erik schaute eine Weile auf den bleichen, leblosen Körper auf der Metalliege herunter. Ja, irgendwie sah er ihm ähnlich. Irgendwie schon. „Erik?“ … „Erik, komm, lass uns gehen …“ „Aber wohin?“ „Ins Netz. Da, wo du jetzt geboren bist.“

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