Die Waschmaschine

Ein rauher Wind wehte aus Westen und brachte Schnee mit. Wieder einmal. Der Winter schien kein Ende zu nehmen. Frank war damit beschäftigt Schnee zu schaufeln. Er war Hausmeister in dem fünfstöckigen Haus. Nicht das er irgendeine Ahnung von dem Job hätte. Aber da er gerade arbeitslos war, hat er das Angebot angenommen. Wie schwer kann das sein, ab und an eine Birne wechseln und den Rest des Tages auf der Couch liegen und Fernseh schauen. Und damit hatte er es zur Meisterschaft gebracht. Frauentechnisch lief bei ihm schon lange nichts mehr, die Zeiten waren vorbei. Jedesmal wenn er es versuchte und um die Häuser zog, landete er doch nur wieder am Tresen und schüttete ein Bier nach dem anderen rein. Er hatte sich damit abgefunden. Seine Gene waren eh nicht so wichtig. Und es war vielleicht besser wenn er sie nicht weitergab. Fortpflanzung wird sowieso überbewertet. So ein Balg am Hals, das macht doch nur Stress. Mit der Ruhe ist es dann vorbei. Nie wieder halbvolle Bierflaschen stehen lassen, die Putzmittel wegräumen... Wobei letzteres sicherlich nicht auf seine Wohnung zutraf. Das Einzige was er regelmässig kaufte war Insektenspray. Eine ganze Dose versprühte er dann abends in der kleinen Zweizimmerwohnung und ging auf Tour. Wenn er dann gegen fünf oder so wiederkam war das Zeug eh verflogen. Den Rest erledigte der Staubsauger. War viel einfacher als die Essensreste immer zu entsorgen.
Heute morgen war jemand neu eingezogen. Vierter Stock. Ihm war das ja eigentlich egal. Aber er musste sich dann doch mal vorstellen. Schliesslich sollten die Leute wissen das er hart für sie arbeitet. Er wollte warten bis die Räumerei zuende ist. Naja, eigentlich wollte er warten bis seine Lieblingsshow zuende ist. Die Simpsons. Einfach groß. Dieser Homer... Mit dem konnte er sich voll identifizieren. Bei ihm lief auch immer alles schief. Aber immerhin war Homer verheiratet. Und hatte Kinder. Aber wer wollte die schon. Die von Homer machen auch immer nur Ärger.
Nach dem Ende des Abspanns erhob sich Frank langsam von der Couch und ging in den Flur. Kurz schaute er sich im Spiegel an. Vor einigen Jahren schaute ihn da noch ein ziemlich gutaussender Mann an. Durchtrainiert. Sportlich. Mit gutem Job. Aber dann kam die Krise. Er musste als erstes gehen. Anscheinend auch als einziger, weil kaum war er weg, war die Krise es auch. Er hat dann wieder versucht den Job zu bekommen. War aber angeblich wegrationalisiert. Ein ehemaliger Kollege den er irgendwann mal getroffen hatte, hat ihm dann erzählt das den Job jetzt ein junger Schnösel macht. Trotz hundert Bewerbungen hat er es nicht geschafft irgendwo unterzukommen. Dann hat er irgendwann aufgegeben. Und sich in seinem Leben einzurichten. Immerhin, die Stütze hat seine Wohnung bezahlt, die viel wohl noch ins richtige Raster. Und dann kam das Angebot mit dem Hausmeisterposten. Ein paar Euro dazuverdienen und weiter nichts tun. Für ihn war das Leben gelaufen, er wollte sich einfach nur noch treiben lassen.
Aber jetzt musste er erst mal zu dem neuen Mieter. Er keuchte in den vierten Stock. Aufzug gab es keinen. Das Haus war einfach zu alt dazu. Vor der Tür wartete er ein paar Minuten bis er wieder normal atmete. Dann klingelte er. Nach einer Weile wurde die Tür geöffnet und eine Frau schaute heraus.
„Ja bitte?“
„Guten Tag, ich bin Frank Kobolski. Ich bin hier der Hausmeister. Ich wohne im ersten Stock links, wenn Sie also was brauchen, klingeln Sie einfach. Ich bin meistens da.“
„Guten Tag, ich bin Gabriele Funk. Ehrlichgesagt könnten Sie mir gleich helfen, ich bekomme meine Waschmaschine nicht unter die Spüle.“
Toll. Gleich fingen die Nachrichten an und er musste schon arbeiten. Naja, was solls. Er folge Gabriele in die Wohnung. Sah gar nicht schlecht aus. Als die neue Mieterin. Die Wohnung kannte er schon. Sie musste so ungefähr sein Alter haben. Nur etwas besser in Form als er. Das ständige auf der Couch sitzen hatte Seinen Hinten schwer in Form gebracht allerdings die des Sessels. Aber wenn er den Bauch einzog konnte er sich immer noch vorstellen er hätte den Figur eines Zwanzigjährigen. Kein besonders schöner aber immerhin. Aktive Imagination nannte er das. Leider funktionierte das nicht für andere.
Mit einem Seufzer der klarmachen sollte, das er dafür ja eigentlich nicht zuständig war, folgte er Gabriele in die Küche und schaute sich die Waschmaschine an. Seine erste Befürchtung, der Deckel könnte vielleicht noch drauf sein, bewahrheitete sich nicht. Allerdings passte die Maschine tatsächlich nicht unter die Spüle. Irgendjemand hatte wohl mal die Spüle verbogen, wie auch immer das passiert ist. Jedenfalles konnte er mit Gewalt die Maschine drunterschieben, als er mit der anderen Hand die Spüle hochhob. Dann wackelte allerdings die Spüle.
„Meinen Sie das man die Füsse unter der Maschine vielleicht verstellen kann?“ fragte Gabriele.
Am liebsten hätte er sich georfeigt. Natürlich, die Füsse waren voll herausgeschraubt. Mit viel gezerre und geschnaufe zog er die Maschine wieder hervor, schraube die Füsse ganz herunter und konnte dann problemlos die Maschine unter die Spüle schieben.
„Na also.“
„Und wo wird jetzt das Wasser angeschlossen?“
Er kam sich langsam vor wie ein Vollidiot. Die Frau musste ihn für den größten Versager des Planeten halten, die Füsse nicht herunterzudrehen und dann auch noch den Anschluss zu vergessen. Wenigstens liess sich die Maschine jetzt problemlos herausziehen. Er malte sich aus, wie sie ihn auslachte, traute sich aber nicht in ihre Richtun zu schauen um herauszufinden ob sie das wirklich tat. 'Du bist echt ein Held, da lädt dich eine schöne Frau in ihre Wohnung ein und Du benimmst dich als hättest Du auf der Baumschule gelernt.'
Zum Glück waren die Anschlüsse für die Waschmaschine vorhanden, so mancher Mieter nahm die einfach mit und dann gab es eine Riesensauerei. In wenigen Minuten hatte er alles angeschlossen, schob die Maschine zurück, und meinte „so, jetzt passt es.“
„Kann ich die mal kurz ausprobieren?“ frage Gabriele und er nickte nur mit einem Blick, der sagen sollte das er alles im Griff hatte. Bei der Gelegenheit sah er das sie lächelte – okay, es sah nicht so aus als ob sie ihn auslachte, aber bei Frauen weiss man nie so genau.
Der Knopfdruck auf die Maschine brachte keine Reaktion. Er schob Gabriele zur Seite und versuchte auch ein paarmal mit unterschiedlicher Heftigkeit den Einschalter zu drücken. Jedesmal keine Reaktion.
„Vielleicht ist die Maschine kaputte?“ frage er niemanden spezielles.
„Sieht so aus als ob sie keinen Strohm hätte, ich schaue mal nach der Sicherung.“ antwortete Gabriele und verschwand aus der Küche.
Strohm! Wieder hatte er dieses Gefühl völlig hirnamputiert zu sein. Er hatte den Stromanschluss vergessen. Wenn er schnell genug bevor sie wiederkam...
Sie kam wieder, allerdings hing er gerade recht unvorteilhaft hinter der Maschine und versuchte das Strohmkabel einzustecken. Endlich gelang es ihm und als er wieder unter der Spüle hervorkroch sah er sie lächelnd vor ihm stehen. Wie peinlich!
„Ich, äh, wollte, äh, nur schauen ob alles richtig angeschlossen ist. Ist die Sicherung okay?“
„Ja, ich habe sie wieder angeschaltet“ antwortete Gabriele. Wieder angeschaltet? Entweder er war jetzt völlig bescheuert oder sie wollte ihm nicht die Blösse geben, die er sich selbst bereits gegeben hat.
Sie war also entweder doof oder nett. Schliesst sich ja nicht unbedingt aus, aber nicht doof und nett ist irgendwie besser. Dann viel ihm wieder ein, wie er aussah, was er eigentlich so machte und das er bei ihr wohl eh keine Chance hatte. Für ihn wars gelaufen, das war klar. Keine kleinen Franks in dieser Welt und das war wahrscheinlich auch gut so.
„Tja, dann werde ich mal wieder...“ begann Frank.
„Tja, dann vielen Dank.“
Er bemerkte erst jetzt ihr wunderbares Lächeln das so gar nicht spöttisch war wie er geglaubt hatte, sondern einfach nur süss. Wieder viel ihm ein das er keinen richtigen Job hatte, scheisse aussah und ausserdem war sie bestimmt viel zu gut für ihn.
„Also wie gesagt, erster Stock links. Wenn Sie noch eine Waschmaschine anschliessen wollen...“
Wieder dieses entzückende Lächeln.
„Okay, dann weiss ich wo ich Sie finde.“
Keiner von beiden bewegte sich für eine schier endlose Zeit. Dann machte er eine Bewegung Richtung Tür und meinte
„Tja, dann will ich mal wieder. Hab noch einiges zu Tun, Hausmeisterarbeiten und so.“
Sie schenkte ihm wieder dieses Lächeln, und diesmal war es Eindeutigkeit kein spöttisches, sondern gerade so als ob er von seinem Job im Atomphysiklabor erzählt hätte.
Er ging erst langsam, dann immer schneller, weil er Angst bekam, das sie ihn nochmal zurückrufen könnte. Dabei wäre das genau das gewesen, was er sich gewünscht hätte.
Später in seiner Wohnung kam er sich schon wieder vor wie ein Idiot. Nicht nur das er sich völlig dämlich angestellt hatte, er hatte wohl auch die Chance vermasselt das sie ihn nicht als kompletten Vollidioten sah. Dann versuchte er sich klarzumachen, das er einer war, ein Versager und so. Den rest des Abends verbrachte er zappend vor seinem Fernseher, das Bier mit dem er sich besaufen wollte trank er nur an und schlief schliesslich in seinem Sessel ein.

Am nächsten Morgen erwachte Frank ziemlich früh. Eigentlich ungewöhnlich. Aber er hatte natürlich nicht die Jalousien runtergedreht, er war ja im Sessel eingeschlafen. Die Sonne hatte ihn geweckt. Dann dachte er an die neue Mieterin – Gabriele wie er sie in Gedanken nannte – und wunderte sich über sich selbst, das er ausnahmsweise mal nicht sowas wie „Drecksloch“ über seine Wohnung dachte.
Aus ihm völlig unbegreiflichen Gründen find er den Morgen damit an die Wohnung aufzuräumen. Das heisst, er versuchte es. Erst räumte er den ganzen Müll, leere und halbvolle Flaschen, volle Aschenbecher, Pizzakartons mit und ohne Inhalt – mancher davon konnte schon sprechen – in die Küche. Der Versuch die Abfälle zu entsorgen scheiterte daran, das er keine Mülltüten mehr hatte. Also wollte er erst mal saugen. War schon eine Weile her, das er das das letzte Mal getan hatte. Dabei viel ihm auf, warum der Staubsauger war nämlich kaputt. Der letzte Versuch bestand darin das Bad sauberzumachen. Er hatte zwar etwa zehn Flaschen Badreiniger, aber er konnte diesen mangels Inhalt im Besten falle ein geröcheltes „pfff“ entlocken.
Dies war normalerweise der Zeitpunkt an dem er aufgab, den Fernseher anschaltete und sich das erste Bier des Tages gönnte.
Heute jedoch entschloss er sich einkaufen zu gehen. Sogar eine Liste schrieb er sich dafür und trabte frohen Mutes los. Einige Stunden später stand Frank in seiner Wohnung und schrubbte und wienerte wie er nie geschrubbt und gewienert hatte. Wie üblich ignorierte er das erste Klopfen an seiner Tür. Beim Zweiten viel ihm ein, es könnte Gabriele sein und stürmte hin. Leider nur der nervige Jugo aus dem Zweiten – war eigentlich Kroate, aber für ihn immer noch Jugoslawe – der sich jedesmal über die Unordnung im Hof und im Keller beschwerte. 'Selber ein Land in Schutt und Asche legen und sich dann aufregen wenns im Keller nicht ordentlich ist' dachte sich Frank. Statt die aber wie üblich laut zu sagen, entschuldigte er sich und versprach das heute noch aufzuräumen. Der völlig verdutze Nachbar zog ab und drehte sich noch ein paarmal um. 'Na super, wahrscheinlich denkt er ich wäre auf Droge.' Gut, das war ein oder zweimal so. Nichts schlimmes, ein kleines Jointchen zum entspannen. Aber es wurmte ihn doch, dieses überraschte Gesicht.
Er wollte erst gleich runtergehen und aufräumen, dann beschloss er aber seine Arbeit in seiner Wohnung erst fertigzumachen. 'Konzentration ist wichtig' sagte er sich, warum wusste er aber nicht so genau.
Ein paarmal war er im Verlauf des Vormittages und des frühen Nachmittages versucht aufzugeben und sich vor die Glotze zu setzen – es liefen ja so lehrreiche Sendungen wie „talk-talk-talk“ und „Richterin Barbara Salesch“ - beschloss aber tatsächlich seine Wohnung erst fertig zu säubern.
Am Nachmittag machte er sich zu seiner Überraschung daran den Hof aufzuräumen. Der meiste Krempel war eh von ihm. Er machte einen schönen Berg Sperrmüll, rief sogar bei der Stadt an, damit sie ihn abholen. Er spülte den Hof sogar mit dem Gartenschlauch ab. Zwischenzeitlich schaute der Jugo vorbei, diesmal war er sicher das demnächst die Bullen vor der Tür standen. Der Blick konnte nur Bedeuten, das der gute Mann nicht nur dachte er wäre auf Droge, sondern das er überzeugt war das der gesamte Umsatz durchs eine Wohnung lief.
Ein paar andere Nachbarn schauten auch vorbei, der eine oder andere musste sogar nachschauen ob er sich in der Einfahr geirrt hatte. Alles Idioten.
Nur Gabriele schaute nicht vorbei. Wahrscheinlich musste sie arbeiten, sagte er sich. Einen kleinen Stich gab es ihm trotzdem.
'Mensch du idiot, die will nichts von Dir, Du hast sie einmal gesehen und sie ist viel zu gut für Dich.'
Trotz der deprimierenden Gedanken machte er sich daran den Keller aufzuräumen. Der sah leider noch viel schlimmer aus als der Hof. Um zehn Uhr abends – er hatte bereits sein Pflichtprogramm im Fernsehen verpasst – hing er immer noch im Keller rum und räumte.
„Entschuldigung“
Fast hätte Frank sich vor Schreck in die Hose gemacht. Stattdessen liess er nur das alte Prozellanwaschbecken fallen. Ungeschickterweise direkt auf seinen Fuss, so das er in den nächsten Minuten nur noch derbe Flüche ausstossend durch den Keller hopste.
Als er sich wieder beruhigt hatte und japsend an der Kellerwand lehnte, sah er, das es Gabriele war, die zu ihm in den Keller gekommen war.
„Oh, hallo, entschuldigung, ich bin wohl etwas schreckhaft.“
Gabriele lachte mit einem glockenhellen Lachen, das sein Herz höher schlagen liess.
„Ich wollte wissen ob Sie mir helfen können mein Regal aufzubauen.“
„Nun, eigentlich müsste ich erst den Keller fertig aufräumen.“
In dem Moment ertönte ein schon bösartiges Gegrummel. Erst dachte er Sie hätte ihn angefaucht. Doch ihr ungläubiger Blick auf seinen Bauch liess ihn vermuten das das Geräusch von ihm ausgangen war.
Mit weiter auf seinen Bauch fixiertem Blick sagte Gabriele „ich könnte auch eine Pizza bestellen...“
Frank wurde klar das er den ganzen Tag bei der Aufräumerei noch gar nichts gegessen hatte, und der Hunger wurde schier übermächtig.
„Das wäre nett...“
So fand er sich kurz später bei Gabriele in der Wohnung wieder. Das Regal – Ikea – lag immer noch halbausgepackt imWohnzimmer und sie saßen auf dem Fußboden und aßen Pizza. Besser gesagt, sie aß und er schlang mit einem Heizhunger die Pizza herunter, als ob er den ganzen Tag nichts gegessen hätte. Als er kurz aufsah, konnte er wieder dieses unglaubliche Lächeln sehen. Trotz seines Hungers versuchte er nun langsamer und gesittet zu essen. Es viel ihm recht schwer, aber nach den ersten drei Pizzastücken war er nicht mehr ganz so gierig.
Plötzlich sprang Gabriele auf und sagte „Oh Entschuldigung, ich habe Ihnen ja gar nichts zu trinken angeboten. Ich habe...“ sie verschwand in der Küche und rumorte etwas rum, dann steckte sie den Kopf aus der Küche „Bier und, äh, Leitungswasser“
Frank überlegte kurz ob er einen auf Antialkoholiker machen sollte, entschied aber, das er keine Lust auf Leitungswasser hatte. „Bier ist okay.“ Nur nicht versoffen klingen.
Sie kam mit einer Flasche und zwei Gläsern wieder „Ich habe leider nur eine Flasche und die ist warm.“
Toll, warmes Bier. „Kein Problem.“
Sie schenkte beide Gläser halbvoll und nahm einen Schluck. „Stimmt was nicht?“ fragte sie. Da stellte Frank fest, das er sie angestarrt hatte. „Nein, alles in Ordnung“
Er nahm einen Schluck Bier und stellte fest das es ganz okay war. Wohl nicht die Billigbrühe die er für sich kaufte.
„Also,“ fing Gabriele an, „ich finde wir sollten das mit den Förmlichkeiten lassen, ich bin die Gabriele.“
„Frank.“
„Ich weiss.“ Wieder dieses Lächeln. Eigentlich müsste er sich veräppelt vorkommen. Aber er fand das Lächeln einfach nur Süss.
„Und was machen Sie – machst Du so ausser dem Hausmeister Pizza ausgeben?“
„Tja, zum einen lade ich nur fast jeden Hausmeister zur Pizza ein und ansonsten fliege ich um die Welt.“
Aha. Er muss ein selten dämliches Gesicht gemacht haben, denn diesmal lachte sie mit ihrem glockenhellen Lachen los. Dabei hielt sie sich auf eine Art die Hand vor den Mund das er merkte wie er knallrot im Gesicht wurde.
„Tschuldigung, ich lade normalerweise nicht einfach irgendwelche Männer zum Pizzaessen ein, es sei denn sie helfen mir beim Regalaufbauen. Und ich bin Saftschubse. Vielleicht kein toller Beruf, aber ich Reise gerne.“
„Oh, das Regal...“
„Das sollte jetzt keine Aufforderung sein.Was machst Du denn so, ausser den Hof und den Keller aufräumen. Sieht übrigens Super aus.“
Sie hatte es also doch bemerkt!
„Jaaa, also... Eigentlich nicht viel...“
Er überlegte was er sagen sollte. Fallschirmspringen? Agent? Selbstständig mit einer Internetfirma? Dann traf er eine Entscheidung. Diesmal gab es eigentlich nur einen Weg den er einschlagen wollte. Diesmal sollte es nicht die dolle Aufreissernummer werden. Er wollte es mit etwas versuchen, was er noch nie bei einer Frau probiert hatte: Ehrlichkeit.
„Eigentlich bin ich arbeitslos. Ziemlich lange schon. Ich habe irgendwann mal Elektrotechnik studiert, habe ein paar Jahre gearbeitet. Dann wurde ich entlassen – warum weiss ich nicht genau. Irgendwann war ein Hausmeisterposten hier frei. Den habe ich genommen. Tja, und den Hof aufräumen und den Keller mache ich zum ersten mal...“
Nun war es raus. Er hatte die völlige Panik, das sie ihn jetzt verachtete. Ein Arbeitloser Faulpelz, das war er. Nichtsnutz. Bestimmt hatte sie auf etwas tolleres Gehofft. Das er das nur nebenbei macht. Vielleicht Architket oder so. Zumindest irgendetwas besseres jedenfalls. Er fing gerade an zu bereuen das er sich nicht irgendeine Geschichte ausgedacht hatte. Dann streifte sein Blick ihren und er sah das sie in anlächelte.
„Das finde ich süss.“
Freier Fall, schweben, totale Leere im Kopf. Sie hatte ihn Süss gefunden. Er wusste nicht was er sagen sollte. So total baff. Hatte sie wirklich gerade 'Süss' gesagt?
Wieder dieses wunderbare Lachen.
„Mach den Mund wieder zu.“
Langsam schloss er den Mund. War es dass? Liebe auf den ersten Blick? Er war völlig von Sinnen, schwerlos schwebte er durch Raum und Zeit.
„Weisst Du was, ich werfe Dich jetzt raus.“
Die Landung war abrupt und äusserst hart. Also doch. Er war nur eine Belustigung. Seine Laune sankt auf den Nullpunkt. Eigentlich noch tiefer, sie hatte ihn nur verarscht.
„Es ist schon spät und es ist besser wenn Du mir hilfst das Regal morgen aufzubauen. Ist Dir 1000 recht, ich besorg auch Frühstück.“
Im „Wer-macht-das-dümmste-Gesicht“-Wettbewerb sollte er eigentlich den ersten Preis bekommen. Von absolut angepisst wurde seine Laune wieder auf Hochstimmung katapultiert.
„Ja, also morgen...“ er suchte nach einer ausrede, man soll sich ja rar machen und so... Dann sah er wieder ihr Lächeln, das ihn schon den ganzen Tag begleitete... „1000 ist super.“
Frank schwebte zurück in seine Wohnung. Er stutzte zwar kurz als er reinkam, weil es sie gar nicht so sauber in Erinnerung hatte. Aber irgendwie war es auch ein schönes Gefühl in eine saubere Wohnung zu kommen. Als er auf die Uhr blickte und feststellte, das es bereits halb zwei war – eigentlich eine normale Uhrzeit für ihn – beschloss er ins Bett zu gehen, damit er am morgen fit war.

Punkt zehn Uhr stand er vor Gabrieles Tür und klopfte. Nach einigen Minuten klopfte er nochmal. Er war ziemlich nervös. Vielleicht hatte sie es nicht gehört. Wieder passierte nichts. Er klopfte noch ein drittes mal, ziemlich laut und lang. Die Tür der anderen Wohnung öffnete sich und Herr Öztürk sagte ihm das Gabriele heute morgen ganz früh mit Koffer aus dem Haus war.
Für Frank brach eine Welt zusammen. Er war total fertig. Sie musste ihn nur hochgenommen haben. Total verarscht. Und er war drauf reingefallen. Völlig ernüchtert ging er in seine Wohnung. Als erstes machte er sich ein Bier auf und schaltete den Fernseher an. War alles egal. Das Bier schmeckte überhaupt nicht. Er trank es trotzdem aus. Nach vier oder fünf Bier war er total besoffen und schlief auf seinem Sessel ein.
Mit einem Riesenkater wachte er um halb elf wieder auf. Er hatte immer noch eine Riesenwut auf sich, weil es so dumm war auf das Lächeln hereinzufallen. Er beschloss noch einen Spaziergang zum Kiosk zu machen, ein paar Jägermeister mussten es sein. Als er um vier Uhr früh wieder nach Haus kam, schaute er noch in seinen Briefkasten. Darin lag ein weisser Umschlag, der nur mit „Frank“ beschriftet war. Bestimmt von der blöden Kuh das sie nix mit einem Versager wie ihm zu tun haben wollte. Er schmiss den Umschlag direkt ins Altpapier. Soll sie ihn doch. War doch egal.
Sein Anrufbeantworter zeigte fünf Anrufe. Auch egal. Frank legte sich ins Bett und schwor sich nie wieder auf irgendwelche Frauen mit einem solch bezaubernden Lächeln hereinzufallen.
Am nächsten Morgen stand er auf und duschte. Die Nacht war ein einziger Albtraum. Er hatte von Gabriele geträumt, wie sie sich über ihn lustig machte, ihren Freunden von dem unfähigen Hausmeister erzählte. Von der Null, die nix auf die Reihe brachte. Das hatte er nun davon das er Ehrlich war. Alles Dreck. Weil das Bier alle war, gönnte er sich um elf den ersten Schnaps. Und schaute dabei Unterschichten TV. Das passte zu ihm. 'Wenn ich noch nicht ganz unten bin, kann ich mir wenigstens Mühe geben, dahinzukommen'
Der Tag ging an ihm total vorbei. Irgendjemand hat an seiner Tür geklopft, wohl mehrmals. Aber Frank tat so als wäre er nicht da.
Drei Tage igelte er sich vollommen ein. Dann war sowohl der Schnaps als auch die Tiefkühlpizza alle. Blieb ihm wohl nichts anderes Übrig als einkaufen zu gehen. Als er seine Wohnungstür öffnete viel ihm der Umschlag auf, der daran klebte. Wieder ein weisser Umschlag mit 'Frank' drauf. Erst wollte er ihn ungesehen wegwerfen, dann machte er ihn doch auf und las:
„Lieber Frank,
es tut mir furchtbar leid das das neulich nicht geklappt hat. Ich hatte Rufbereitschaft und musste auf einen Flug. Ich hatte Dir ja meine Handynummer in den Briefkasten geworfen damit Du mich anrufst. Ich habe es auch ein paarmal probiert und dir auf den Anrufbeantwortet gesprochen. Leider warst Du nicht da. Ich hatte gehofft das wir uns wiedersehen. Aber anscheinend willst Du nichts mit mir zu tun haben. Was ich verstehen kann. Ich bin halt nur eine Saftschubse und dauernd unterwegs. Hast wahrscheinlich recht. War trotzdem nett Dich kennezulernen.
Alles Liebe
Gabriele“
Frank las den Brief wieder und wieder und ihm quollen die Augen fast aus dem Kopf. 'Ich Arschloch! Ich verdammtes hinloses Arschloch!'
Anscheinend hat er es nicht nur gedacht, sondern lauf gerufen, jedenfalls ging die Tür der Nebenwohnung auf und ein etwas entgeisterte Frau Malchiewitz schaute ihn an.
„Alles in Ordnung Herr Kobolski?“
„Nein, scheisse nochmal, gar nichts ist in Ordnung!“
„Die neue aus dem vierten hat mich schon zweimal gefragt ob Sie da sind, ich hab aber immer gesagt ich wüsste es nicht. War das nicht richtig?“
Frank schaute die Renterin an und stürmte los. Direkt in den vierten. Die alte Frau rief ihm noch nach
„Alles in Ordnung Herr Kobolski?“
Er hämmerte wie wild auf die Tür von Gabriele ein. Wieder machte keiner ausser Herrn Ötztürk auf. „Frau Funk ist...“
„Jaja, heute morgen weg.“
„Nein, gestern.“
Frank liess Herrn Ötztürk stehen und rannte die Treppen herunter zum Altpapiercontainer. Leider war der am Vortag geleert worden.
„*****!“
„Verdammte Scheisse.“
Frank überlegte was er tun könnte.
„Ich bin so ein Vollidiot!“
Er stürmte in sein Wohnung und wollte seinen Anrufbeantworter abhören. Den hatte er aber einfach gelöscht. Und da es sich um ein digitales Modell handelte, waren die Nachrichten auf wirklich weg.
„Scheissescheissescheisse!“
Durch die noch immer geöffnete Wohnungstür lugte die Alte von nebenan und fragte wieder
„Alles in Ordnung Herr Kobolski? Sind sind so aufgeregt.“
„Jetzt nicht!“ herrschte er die Dame an.
Doch wie alte Damen nun mal sind war diese ein besonders Hartnäckiges Exemplar.
„Ich wollte nur wissen ob Sie was brauchen?“
„Verdammte scheisse ja, eine Telefonnummer, eine Adresse, irgendwas!“
„Falls es die Nummer von Frau Funk ist, die hat sie mir für Sie gegeben.“ Sie hielt ihm einen Zettel mit einer Handynummer hin.
Frank starrte auf den Zettel als ob sie ihm einen gebratenen Hamster geben wollte. Spontan umarmte er seine Nachbarin und setzte ihr einen dicken Kuss auf die Wange, entriss ihr den Zettel und rannte los.
„Ach Herr Kobolski. Die Jugend von heute...“
Natürlich war die Prepaidkarte von seinem Handy alle und so rannte er zum nächsten Supermarkt um eine neue zu kaufen. Da nahm er gleich noch eine Packung Pralinen mit. Mit zitternden Händen tippte er die Nummer von Gabriele in sein Handy.
„Der Teilnehmer ist zur Zeit nicht erreichbar, bitte versuchen Sie es später nochmal.“
„Scheisse!“
Wie wild rannte er in seine Wohnung uns suchte einen Stift. Das einzige was er fand war ein Edding. Er wollte aufschreiben was er fühlte, wie scheisse er sich benommen hatte und das ihm alles leid tat. Dann entschied er sich dafür einfach nur „Sorry.“ und seine Handynummer auf die Pralinen zu schreiben und er klebe sie mit Panzerband an Gabrieles Wohnungstür.
Wieder in seiner Wohnung wanderte er auf und ab. Zog Kreise wie ein Satellit. Als es Klopfte bekam er fast einen Herzinfarkt und öffnete die Tür mit einem „Gabriele?“
Leider war es wieder nur der Jugo - seinen Namen konnte er sich immer noch nicht merken.
„Also der Keller sieht ja jetzt schlimmer aus als vorher...“
„Der Keller! Den habe ich ganz vergessen! Ich kümmer mich drum.“ antwortete Frank und knallte die Tür zu. Er zog sich um und war froh was zu tun zu haben. Er räumte den Keller fertig auf, bei der Gelegenheit checkte er alle Lampen im Haus und tauschte die defekten aus. Sogar die Heizung kontrollierte er. Dann fuhr er zum Baumarkt und holte Spachtelmasse uns Farbe und machte sich dran, einige Stellen im Haus auszubessern. Nur nicht nachdenken, irgendwas tun.
Am zweiten Tag war er grade dabei die Fassade zu tünchen, als er ein Räuspern hinter sich hörte. Er schaute nach unten und hätte fast den Eimer vor Schreck fallen lassen.
„Hallo.“ Gabriele stand unterhalb der Leiter und lächelte zu ihm hoch. Bei dem Versuch die Leiter runterzukletter wäre er fast abgestürzt. Dann standen sie sich gegenüber.
„Hallo“ sagte Frank.
„Ich..“, „Es...“ sagten sie gleichzeitig.
„Du zuerst.“ wieder gleichzeitig. Dann lachte Sandra wieder ihr Lachen und ihm wurde total flau ums Herz.
„Also, es tut mir leid.-“ begann Frank. „Ich dachte Du wolltest nichts mit mir zu tun haben.“
Ehrliche überraschung machte sich in ihrem Gesicht breit.
„Warum sollte ich?“
„Naja, ich bin ja nicht gerade der Traumtyp...“
„Ich etwa?“
Frank schaute sie lange an und als er hörte was er sagte war er selber baff.
„Ja.“

Zwei Wochen später waren sie ein Paar. Frank nahm seine Hausmeistertätigkeit ernst und Gabriele bliebt bei ihrem Beruf als „Saftschubse“. Auch wenn sie viel unterwegs war, führten die beiden eine glückliche Beziehung. Sobald Gabriele nicht da war, arbeitete Frank Tag und Nacht und machte sogar einen Hausmeisterservice für die umliegenden Häuser auf. Und eines Tages... Aber das ist eine andere Geschichte.

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