Zimtschnecken und Salmiak 2

Frisch und ausgeruht machte Jo sich auf den Weg in die Innenstadt um erst mal ein paar leckere Zimtschnecken zu kaufen. Die erste Bäckerei die voll genug aussah um gut zu sein war sein Ziel. Als er sie gefunden hatte ging er wohlgemut hinein und stellte sich in die Schlange. Er wunderte sich zwar etwas das zum Teil Leute hinter ihm vor ihm dran kamen, aber vielleicht hatten die doch schon länger gewartet. Als dann aber er obwohl es sein Platz in der Schlange war, jedesmal ignoriert wurde, wurde er langsam sauer. Er wollte gerade mal zu einer deftigen Erwiderung ansetzen, als er diese seltsame Nummerananzeige sah. Und dann bemerkte, das jeder Kunde einen Papierschnipsel in der Hand hatte. Dann fiel es ihm wie Schuppen aus den Haaren, ‚das ist kaufen nach Zahlen!‘. Also zog er eine Nummer, wartete nochmal geduldige 10 Minuten und endlich kam er in den Genuß der wunderbaren leckeren zuckersüßen hochzimtigen Zimtschnecken. Einigermaßen gesättigt setzte er auf seine Besichtigungsliste sämtliche Zimtschnecken Kopenhagens zu probieren. Man soll ja die Messlatte immer hoch genug ansetzen. Er hatte ja etwas Zeit und wollte mindestens eine Woche hier bleiben. Ganz unerkannt, hoffte er, nur für den Fall der Fälle blieb er ab und zu stehen und schaute sich die Schaufenster an. Weniger die Auslagen als die Reflektionen der Leute und er versuchte zu erkennen ob er einen der anderen Passanten die in die Schaufenster schauten heute schon gesehen hatte.

„Jo?“

Jo fuhr erschrocken zusammen aus seiner Beobachtung.

„Jo, Mensch ich habe dich ja ewig nicht gesehen. Und das wir uns hier treffen!“

Direkt vor Jo stand jemand, der im vage bekannt vokam. So mit dem Ziegenbärtchen, dem Bierspoiler und der abgeranzten Motorradjacke. Da war doch mal, wie hieß der gleich...

„Ich bins Harry, sag bloß du erkennst mich nicht mehr! Okay, ist lange her und die Zeit war nicht nett zu mir. Wie lange ist das jetzt her, 10, 15 Jahre? Mensch, das war die gute alte Zeit, was?“

Langsam veränderte sich das Bild vor Jo und der Typ bekam etwas bekanntes. Harry, Harry, das war doch damals als sie sich als Hacker für das Gute versucht haben zu, aufstrebend waren sie, haben sich für Anonymous oder schlimmer gehalten, alles für das gute. Wie in ‚Sneakers‘ wollten sie sein. Aber sie waren immer zu schlecht, und Jo ist irgendwann ausgestiegen, wohingegen Harry... ja keine Ahnung.

„Jo, also ich finds ja geil, da ist man mal in Kopenhagen und schon läufst du einem über den Weg. Ich wollte Dich ja immer mal anrufen, aber weisst ja wie es ist. Was machst Du so? Hast Du noch was mit dieser, wie hiess sie denn, Karla, der Blonden oder war die Brünett, also...“ Harry blubberte fröhlich vor sich hin und merkte gar nicht das Jo noch kein Wort gesagt hatte. Dem lief es nämlich eiskalt bei diesem Zufall den Rücken herunter. Er hatte sich so sicher gefühlt, so unantastbar, so perfekt. Aber mit einem dummen Zufall, das er einem alten Bekannten traf, hatte er einfach nicht gerechnet. Was wenn die Geschichte nun rauskam? Er konnte ja kaum Harry zur Verschwiegenheit verpflichten, ohne es noch auffälliger zu machen. Ernsthaft fing Jo daran zu denken, ob er zu drastischen Maßnahmen greifen musste, was wohl an den vielen amerikanischen Filmen lag die er im Laufe der letzten Jahre gesehen hatte. Aber die war nicht Amerika, dies war Europa.

„Hier, Jo, pass mal auf, ich wollte eh einen trinken gehen jetzt lade ich dich einfach ein!“

Kaum hatte Harry das gesagt, nahm er Jo am Arm und zog ihn mit sich. Jo blieb nichts anders übrig als erst mal mitzugehen. Es war ja voll genug und er hoffte das er Harry schnell verlieren konnte in der Menschenmasse. Kaum fingen sie an sich zu bewegen, da wurde der Griff von Harry hart wie Eisen. Nicht unangenehm, aber es war klar, das er es jeden Moment werde konnte. Jo konnte sich gar nicht erinnern, das Harry jemals Kraft hatte. Eigentlich war er immer mehr so ein echter Nerd, ein Körper aus Pudding und das Öffnen der nächtlichen Bifi-Packungen hatte ihn total erschöpft. Notgedrungen ging Jo mit, bloß um nicht aufzufallen. Sie gingen die Norregade hinunter zum Gammeltorv. Harry redete die ganze Zeit ununterbrochen, scheinbar ohne Luft zu holen. Er ließ Jo gar keine Zeit etwas zu antworten, der immer gerade zum Luftholen kam bei den Fragen von Harry, aber dann sofort von diesem unterbrochen wurde. Auch das war etwas was Jo verwirrte. Harry war eigentlich nie der Typ der vielen Worte gewesen, sondern eher schweigsam. Vor einem Straßenmusiker blieben sie stehen, und Harry ließ sich ausführlich aus über die Musik, die Tiefe der Texte und er schien den Musiker schon öfters gesehen.

„Peter Jones, er könnte einer der ganz großen sein, aber weißt Du, er ist immer auf Tournee, immer unterwegs in den Städten der Welt, einfach fantastisch...“

Harry klang fast wie eine wandelnde Werbeplattform und Jo versuchte ihn auszublenden und der Musik zuzuhören, die tatsächlich gar nicht schlecht war. Plötzlich zerrte Harry ihn direkt vor den Musiker und seine Auslage mit CDs, offensichtlich wollte Harry eine kaufen und fing gleich eine Diskussion mit dem Verkäufer an über die CDs und welche jetzt nur von welcher Qualität von Peter Jones war. Jo schaute sich die Auslage an, und entschied das wenn er schon mal hier war, er wenigstens eine CD kaufen konnte. Zum einen war die Musik nicht schlecht und er hatte schon immer Straßenmusiker gerne unterstützt. Er holte sein Portemonnaie heraus und wollte sich gerade eine CD aus dem Stapel nehmen, da hielt der Verkäufer schon genau die CD in seine Richtung. Er griff danach und drückte dem Mann das Geld in die Hand. Zwar wunderte er sich über die mangelnde Höflichkeit weil dieser nur glotzte, aber nicht einmal Danke sagte, aber er hatte schon öfters erlebt das in Kopenhagen nicht alles so lief wie er es gewohnt war.

Da Harry ausnahmsweise nichts sagte neben ihm, nutzte er die Gelegenheit und versuchte die Sache zu beschleunigen und hinter sich zu bekommen.

„Was ist jetzt mit einem Trinken? Da drüben ist ein Pub, der sieht gut aus.“

Harry schaute ihn verwirrt an, dachte wohl, dass Jo gar nicht sprechen konnte, sagte dann aber nur „Ok“ und sie gingen in das Sari direkt am Platz. Endlich hatte Harry Jo losgelassen und das hob Jo‘s Stimmung erheblich. Sie setzten sich an einen Tisch vor dem Lokal, das wohl keine Kundschaft vergraulen wollte und deshalb großzügig „Cafe Restaurant Bar“ in maximaler Schriftgröße angeschrieben hatte. Weil Harry auf einmal ungewöhnlich schweigsam war, bestellte Jo schnell zwei Bier und legte sich ein ‚Ich muss leider weg‘-Konzept zurecht.

„Mensch Harry, ich freu mich ja, sag mal was machst du denn jetzt so?“

„Also ich bin jetzt Berater und habe da so einen Bankjob. Ist nichts aufregendes, aber es bringt gut Geld. Wo wohnst du denn hier?“

„Toll. Hat unser Computerkram doch was genutzt. Wie ist das bei den Banken denn so, die bauen je gerade ab habe ich gehört.“

„Ne, bei uns ist immer Konjuktur. Wir können uns ja zum Abendessen Treffen. Hat dein Hotel ein Restaurant, dann würde ich vorbeikommen?“

„Du trinkst ja gar nicht, Harry was ist los? Du warst doch immer so durstig? Schau mal ich brauch gleich mein zweites!“

„Ja, ist ja noch früh. Was willst Du denn noch machen? Bist Du gerade angekommen? Oder lebst Du in Kopenhagen jetzt?“

Jo stellte sein halbgetrunkenes Bier auf den Tisch lehnte sich zurück und grinste breit.

„Na rate mal.“

Harrys Gesichtsausdruck wurde zunehmend genervter, was Jo freute weil seine Strategie anscheinend aufging, dann zuckte Harry mit den Schultern und meinte

„Keine Ahnung. Bleich genug bist du um hier zu wohnen. Komm sag schon, ich bin nicht gut im Raten.“

Theatralisch hob Jo die Arme und fuhr schwungvoll nach vorne mit einer ausholenden Bewegung.

„Ich bin, … oh Scheisse, tut mir leid!“ in der Bewegung hatte Jo schwungvoll sein Glas über den Tisch gestoßen und den Rest seines Bieres über Harrys Hose geschüttet. Das Glas hatte im Stürzen Harrys Glas erwischt und dessen Inhalt ebenso über Harry entleert.

„Verdammte scheiße, kannst Du nicht aufpassen?“ Harry war aufgesprungen, aber zu spät und seine Hose war komplett nass, es sah aus als hätte er in die Hose gemacht.

„Tut mir wirklich leid, ich bin so ungeschickt. Ich an deiner Stelle würde schnell versuchen die Hose trocken zu bekommen, bevor Du dich noch erkältest.“

Harry schaute ihn böse an, sagte ihm das er gleich zurück wäre und verschwand im inneren. Nachdem Jo sich vergewissert hatte, das Harry im Klo verschwunden war, legte Jo einen 50 Kronen Schein unter den Aschenbecher auf dem Tisch und ging. ‚Na geht doch‘ dachte er bei sich.

Zurück