Die Straßen waren verlassen. Kalt und Leer. Andererseits ist es auch nicht gut um diese Uhrzeit durch eben diese Straßen zu wandern. Nicht einmal die Bullen trauen sich hierher.

Ich war immer gut beim Puzzeln. Damals, in der Schule, gab es diesen Typen, Chuck, der geistig behindert war. Er hat mich immer dabei beobachtet, wie ich die Teile zusammengelegt habe. Ich habe den Typen geliebt, weil er der Einzige war, den ich je getroffen habe, der so dumm war, mich für ein Genie zu halten.
Und die Situation, in der ich jetzt bin, ist nichts als ein weiteres Puzzle. Nur habe ich verdammt wenig Teile.

Ich werde wegen Mordes gesucht und die Bullen hängen da mit drinnen. Aber der wirkliche Feind, der Hurensohn, der den Engel, der neben mir lag, getötet hat, der läuft frei herum, außer Sichtweite. Das fehlende größte Puzzlestück, das mir das WIE und das WARUM und ein Gesicht und einen Namen geben wird. Und eine schreiende Seele, die ich in die Hölle schicke.

Die gute Nachricht ist, daß der Killer nicht auf seinem Arsch sitzt und darauf wartet, daß mich die Bullen wegputzen. „Es waren einige Leute da, die nach Dir gesucht haben,“, hat Mama gesagt, „aber sie waren keine Polizei“.

Also ist alles, was ich tun muß, dem Schwein eine Einladung zu schicken. Er wird kommen oder er wird jemanden schicken. Auf den einen oder anderen Weg werde ich – wenn ich das überlebe – ein oder zwei neue Puzzlestücke bekommen...

Ich Gedanken versunken folge ich dem Pflaster. Manchmal biege ich hier und dort ab. Wie zufällig stehe ich vor einem Hintereingang in einer Seitenstraße. Man kann alles finden in der richtigen Seitenstraße SinCitys. Durch die Tür erklingen Geräusche, als würde jemand auf einen Sandsack einschlagen. Ich glaube nur nicht, daß es ein Sandsack ist. Die Tür fliegt mitsamt einem Typen raus. Das passiert hier den Leuten, die meinen, Kadie's wäre ihr Laden.

<center></center>

Ich steige über den Typen hinweg, als der Rausschmeißer mir den Weg verstellt.

„Und Du – Dein Mantel sieht aus wie Bagdad, genau wie Dein Gesicht. Verzieh Dich.“

Es ist immer ein häßliches Geräusche, ähnlich wie wenn man auf eine alte Gummiente tritt, wenn sich die Daumen in die Augenhöhlen bohren.

„Sag Kadie, es ist Marv. Das wird wieder.“

Ich gehe an dem zusammengekrümmt wimmernden Rausschmeißer vorbei. Sie könnten sich wirklich mal die Mühe machen, ihren Leuten zu erklären, wer hier Gast ist und wer nicht.

In dieser Stadt ist eigentlich alles, was es wert ist es zu tun, illegal. Es hat sich gezeigt, das es für jeden so das Beste ist. Die Bullen und die Politiker machen ihr Vermögen damit wegzuschauen, während Typen wie Kadie ungestraft damit davonkommen, 10 Dollar pro Getränk zu verlangen. Aber meine Getränke bei Kadies sind immer umsonst. Der gute alte Transvestit würde mir den Arm brechen, wenn ich versuchen sollte zu bezahlen. Ich habe ihr einige Gefallen getan und niemand weiß wo die Leichen vergraben sind. Niemand außer mir.

Kadie's ist genau mein Fall. Country Musik und damit meine ich nicht diesen anbiedernde „Mit Dir fühle ich mich natürlich gut“-Müll, den sie heute als Country verkaufen. Nein, bei Kadie's gibt es noch die alten Sachen. Conway, Tammy und Merle, damals als sie noch nicht kommerziell wurden. Lieder bei denen man trinken kann. Und weinen.

Der Gib-Mir-Alles-Baß von Emmy Lou tritt mir voll in die Brust. Nancy ist wohl auf der Bühne. Das ist ihr Lieblingslied. Sie fängt gerade an mit ihrem Auftritt, aber die Menge atmet schon schwer. Ich sehe sie im Halbdunkel der Bühne, wie sie sich bewegt, geschmeidig wie eine Katze, sanft wie ein Lamm und Wild wie ein Gebirgsbach, auch wenn die schlechte Beleuchtung mehr erahnen als sehen läßt. Ihr Lasso schwingt um sie herum wie die Hände eines Geliebten. Die sanften Rundungen ihrer Brüste schimmern bei jeder ihrer Drehungen und ihr wehendes Haar ist wie ein Schleier, der sie umgibt. Okay, sie tanzt oben-ohne, aber ihr Tanz ist wie eine Offenbarung, voller prickelnder Erotik. Jeder der Typen, die um die Bühne herumstehen, hätte sofort alles für eine Nacht mit Ihr gegeben. Wie viele Nächte stand ich mit all den Typen sabbernd vor Nancy...
Aber das ist nicht wonach ich heute suche...
Ich suche etwas kleines... Haariges...
Ich habe ihn entdeckt. Weevil. Kleine Ratte. Sieht aus wie eine Kreuzung zwischen Affe und Terrier. Wenn du willst, das etwas schnell an die richtigen Stellen kommt, erzähle es Weevil. Wohl eine der gewissenlosesten Informanten den SinCity je hatte. Für Geld tut er alles, sagt man.

„Keine Angst Weevil, ich will Dir einen Gefallen tun. Du hast Geld in Deiner Tasche.“, sage ich, während ich ihn auf den Tisch werfe und meine Worte unterstreiche, indem ich die Eier quetsche, bis es knackt. Damit er mir auch wirklich zuhört.

„Erzähl es rum, Weevil, und verdiene damit auch noch Geld, weil es das Wert ist.“

Nancy kommt langsam zum Höhepunkt ihrer Show, die Menge kocht und deshalb interessiert sich niemand für mich und Weevil – die, die mich kannten wußten sowieso, daß es ihrer Gesundheit nicht zuträglich wäre, sich einzumischen.

„Sag ihnen, daß ich auf dem Zahnfleisch krieche, mir das Hirn rausgesoffen und mir das Maul zerrissen habe – und alles wegen einem heißen Mädchens Namens Goldie.“

Er rennt wie ein Wiesel davon, kaum daß ich ihn loslasse. Bei Shellie, einer der Bedienungen hier, bestelle ich erst mal ein Bier und einen Klaren. Ich kann jetzt doch noch in Ruhe die letzten Augenblicke von Nancys Auftritt genießen. Es wäre einfach zu schade, das zu verpassen.

Zurück